Monday, February 14, 2011

Der Kaiser von Amerika


Der Kaiser von Amerika

Hoheit verließen den Palast gewöhnlich gegen zehn Uhr Vormittags, um die Huldigung der Untertanen entgegenzunehmen und die Staatskasse wieder aufzufüllen. Kaum hatte der goldbetreßte Kaiser den gestiefelten Fuß auf die Mission Street gesetzt, als vorbeieilende Männer dienerten, flanierende Damen knicksten und spielende Kinder johlten. Der Spott der kleinsten seiner „lieben Bürger“ störte Majestät keineswegs; Kaiser Norton I von Amerika und Beschützer Mexikos wußte, daß sich Kinder austoben müssen, wenn strebsame Erwachsene aus ihnen werden sollen. Und nur strebsame Erwachsene würden die Staatsanleihen kaufen, die der Kaiser auf buntem Papier drucken ließ und ganz bürgerlich auf der Straße an den Mann brachte.

Er war der erste und bislang einzige amerikanische Kaiser, und er konnte es nur im toleranten San Francisco der Goldgräberzeit werden. Während der Wandlung der Stadt vom Räuberhort zur kultivierten Metropole lenkte Norton I die Geschicke seines Reiches mit gütiger, wenn auch manchmal strenger Hand, und als er an einem eisigen Januarmorgen begraben wurde, gaben ihm zwanzigtausend barhäuptige Bürger seiner Residenzstadt das letzte Geleit.

Joshua Abraham Norton kam 1849 nach San Francisco, knapp dreißigjährig, um in den neuentdeckten Goldfeldern Kaliforniens sein Vermögen zu machen. In der Tat hatte der Südafrikaner Glück; anstatt mühsam in der unwegsamen Sierra Nevada nach Gold zu suchen, verkaufte er den Prospektoren, was sie brauchen würden; Esel und Pickäxte, Schaufeln und Sauerteig, Hosen und Pistolen. Der Einwanderer hatte drei Jahre nach seiner Ankunft ein Bankguthaben von einer Viertelmillion Dollar – viel, viel Geld. Doch der hoch angesehene Geschäftsmann verlor übernacht Haus und Hof bei einer fehlgegangenen Reisspekulation – ordnungsgemäß wickelte er seine Insolvenz ab und verschwand aus der Öffentlichkeit.

Am 17. September 1859 trat ein abgerissener Mann in die Redaktionsräume der Zeitung San Francisco Evening Bulletin und überreichte dem Chef vom Dienst eine handgeschriebene Proklamation. Darin verkündete Herr Norton, denn um den einst Wohlhabenden handelte es sich, daß er sich nunmehr, dem allgemein geäußerten Wunsch der Bevölkerung entsprechend, zum Kaiser von Amerika und Protektor Mexikos ausrufe. Zeitungsmann Deacon Fitch fand Besucher, Idee und Ausführung witzig und plazierte die Meldung zum Vergnügen seiner Leser prominent auf der Titelseite seines ansonsten stinklangweiligen Lokalblattes. Der Kommandeur des Militärstützpunktes Presidio am Golden Gate schenkte daraufhin dem „Kaiser“ eine seiner fadenscheinigen Uniformen, gab ihm noch einen ausgedienten Paradedegen und machte ihn auf der Stelle zum General h.c., was Majestät dankend dadurch quittierte, daß er den Offizier zum Grafen auf Lebenszeit ernannte. Dann ging Norton I heim und löste per Dekret den Kongreß in Washington auf.

Das Volk tobte – endlich hatte San Francisco einen Gesprächsstoff, der nicht Mord, Raub oder Vergewaltigung beinhaltete, Vorkommnissse, unter denen die schnellwachsende Hafenstadt seit dem kurzlebigen Goldrausch litt. Man grüßte Norton I devot, lud ihn zu Feiern und Gedenktagen, Geschäftsinhaber nannten sich stolz „Hoflieferant“, wenn sich Norton bei ihnen einkleiden oder verköstigen ließ, und ganz San Francisco kaufte ihm die Staatsanleihen im Nominalwert von einem halben Dollar ab, die ihm die Zeitungen als Gegenleistung für seine von den Lesern hochgeschätzten Dekrete kostenlos druckten. Jemand schenkte dem Kaiser eine ausgediente Draisine, auf der er  fortan stolz die Hügel San Franciscos hinabsauste. Er fand, daß der Bürgerkrieg völlig unnötig sei und setzte den Präsidenten Abraham Lincoln ab, was sogar die New York Times zum Anlaß nahm, einen Kommentar über die seltsamen Menschen im fernen Westen der Republik – oder Kaiserreiches, je nachdem – zu veröffentlichen. 

Daß er das Zimmer seiner zugigen Absteige mit allerlei Krabbelndem teilte, störte Majestät wohl wenig. Ebensowenig nahm er an daran Anstoß, daß ihn Polizisten gelegentlich anhielten und Geld sehen wollten -–daß die Vagrantengesetze die Bevölkerung vor Schnorrern schützten, begrüßte der selbsternannte Imperator, und er trug als  Bonitätsbeweis immer ein paar Pennies bei sich. Er respektierte das Gesetz – aber der Gesetzgeber war ihm zeitlebens suspekt. Als sich Gouverneur und Parlament des Staates besonders schamlos um die Anliegen ihrer spendenfreudigen Spezis kümmerten, marschierte Kaiser Norton I von Amerika (und Beschützer Mexikos) zum Hafen, bestieg den Raddampfer nach Sacramento und drohte der gesetzgebenden Versammlung von Bord des kuzerhand zum Kaiserlichen Zerstörer ernannten Kahns mit einem Bombardement. Die Politiker gelobten öffentlich sofortige Besserung, eingedenk der Popularität des Monarchen die korrekte Handlungweise wiederwahlgeiler Volksvertreter. 

Zwei Straßenköter hatten sich dem Kaiser angeschlossen, Bummer und Lazarus mit Namen, und als sie starben, ging´s allmählich auch mit dem Kaiser bergab. Zwanzig Jahre lang sah man ihn täglich auf den hügeligen Straßen der Stadt, den straußenfedergeschückten Biberhut auf dem Kopf, schwer zu entfernende Spuren längst verdauter Mahlzeiten auf der goldbetreßten Uniform, der Degen rostzerfressen, die Stiefel ungeputzt, in der Hand kaiserliche Staatsanleihen mit dem Verfalldatum 1.1.1900. Er kam nicht mehr dazu, sie einzulösen. Am 8. Januar 1880 fiel er tot um, als er gerade die Kreuzung der Grant und California Avenues überqueren wollte. Fünfeinhalb Dollar fand man in seinen Uniformtaschen, eine Unzahl wertloser Aktien und eigener, noch unverkaufter Anleihen, und auf dem wackligen Tisch seines miesen Zimmers lagen die Rohfassungen einiger Erlasse.

Zwanzigtausend Trauernde gingen hinter seinem Sarg, schrieben die Zeitungen San Franciscos, aber denen durfte man nicht alles glauben, denn die lagen in heftiger Fehde miteinander und logen sich daher die schönsten Geschichten zurecht, was wiederum zeigt, daß sich alles ändert und doch alles beim alten bleibt.

Ob Norton nun ein cleverer Simulant war, der sich mit dem Kaiserdreh ein schönes Leben ohne Arbeit machte, oder ob er so verrückt war wie´s den Anschein hatte, darüber streiten die Leute heute noch. Ich plädiere für verrückt, was aus manchen seiner im Laufe der Regentschaft veröffentlichten Dekreten eindeutig hervorgeht. Er verfügte, dem Erfinder Frederick Marriott die Entwicklung eines Luftschiffes zú finanzieren, er regte den Bau einer Brücke zwischen Oakland und San Francisco an  (damals belächelt, sechzig Jahre später in die Tat umgesetzt), der Hauptstadt Sacramento machte er zur Auflage, ihre Straßen zu befestigen und nachts zu beleuchten. Alles sehr vernünftig, meint man. Doch dann befahl er den Parlamentariern im fernen Washington, sich endlich um die Belange der Bevölkerung zu kümmern, statt immer nur die Hand aufzuhalten.

Wer mit ernster Miene derartiges verlangen kann, der muß eine Schraube locker haben. 

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